Ist es vernünftig, an Gott zu glauben?

Die Frage des Melchior-Magazins wurde von mir (einem Freidenker), einer Philosophin (ich selber bin übrigens auch Philosoph) und einem Theologen beantwortet. Melchior ist ein (religiöses) Magazin, das in einer Auflage von 28’000 Exemplaren in Österreich, Deutschland und der Schweiz erscheint.

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Hier meine Antwort:

Ja, es ist unvernünftig, an Gott zu glauben.

Die Frage aber pauschal und undifferenziert mit Ja oder Nein zu beantworten, ist freilich etwas unbefriedigend. An welchen Gott sollte denn geglaubt werden? An Jahwe, an das Fliegende Spaghettimonster, an Allah, Zeus oder Cthulhu, eine Göttin gar? An einen fast nicht kritisierbaren, unfassbaren Urgrund? An ein erstes Anstosser- Prinzip, einen unbewegten Erstbeweger? Es war Dietrich Bonhoeffer, der pointiert formulierte, dass es einen Gott, den es gäbe, nicht geben könne. Entweder wird der Gott also angreifbar und konkret oder er bleibt nebulös und eine Diskussion über seine Eigenschaften wird sinnfrei. Poesie und Mutmassung sozusagen. Falls es jedoch um einen recht konkreten, personalen Gott gehen soll, der das nahezu unermessliche Universum geschaffen hat, der dann aber angeblich ein Interesse daran haben soll, ob Jugendliche masturbieren oder dass (Katholikinnen und) Katholiken, welche in Scheidung und in einer neuen Partnerschaft leben, zur Kommunion gehen… , dann finde ich es sehr unvernünftig, an einen solchen Gott (pointiert gesehen – ein Gott à la Katholizismus und gemäss anderen Monotheismen) zu glauben.

Und was ist denn unser Begriff von Vernunft? Es kann durchaus in gewissem Sinne vernünftig sein, dass eine Person in bestimmten Momenten Geborgenheit in einem Gottglauben spürt oder spüren will. Dass eine solche, von mir so gesehene, Illusion einigen Leuten hilft, bezeugt aber nicht, dass ein Gott existiert. Ich persönlich möchte mein Leben so führen, dass ich meine Lebensgrundlagen nicht auf Unbeweisbares baue. Das scheint mir tatsächlich möglichst vernünftig.

Ein sinnvolles, gutes, erfülltes und erfüllendes Leben ohne Gott und die Vorschriften jener, die sich als Gottes Stellvertreter und Sprachrohre auf Erden ausgeben, ist möglich. Es wird von einer rasch wachsenden Zahl von Menschen praktiziert. Viele davon halten es für unvernünftig, an Gott zu glauben. Sie sind deshalb aber nicht ohne Mitgefühl. Das Gegenteil von ‹rational› ist nämlich nicht ‹emotional›, sondern ‹irrational›.

MelchiorVA

Hier inklusive Fragestellung und der Philosophen- und Theologen-Antwort. Auch bei Scribd.

Das komplette Heft kann man hier lesen.

Über Valentin Abgottspon

Philosoph, Germanist, Lehrer. Wurde am 8. Oktober 2010, nachdem er sich für säkulare staatliche Schulen auch im katholisch geprägten Wallis einsetzte, und sich z.B. weigerte, ein Kruzifix in seinem Schulzimmer zu akzeptieren, fristlos entlassen.
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1 Response to Ist es vernünftig, an Gott zu glauben?

  1. SaoiAebi sagt:

    Bin da gleicher Meinung: Je nach Gottesdefinition kann ein solcher «Gott» tatsächlich existieren, beispielsweise als eine Art Wesen, das das ganze Universum irgendwie «bewohnt» resp. dessen Impulsgeber war. So etwas ist theoretisch vorstellbar.

    Einen (christlichen) Gott, dessen Ziel es aber ist, uns alle von sich zu überzeugen, alle anderen Menschen, die willkürlicherweise an eine andere Gottheit glauben, in die Hölle abzuschieben etc. – ein solcher Gott ist höchst unrealistisch und widerspricht einer grundlegenden Vernunft.

    Deshalb würde ich sagen, dass man als vernünftiges Lebewesen gleichermassen Atheist (bzgl. monotheistischem Gott) und Agnostiker (bzgl. unerklärlicher, charakterloser, kosmischer Kraft) sein kann.

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