Zum Tag der Religionen findet in Brig ein Vortrag und eine Podiumsdiskussion statt. Vorgängig wurde in einigen Philosophieklassen mit den Schülerinnen und Schülern das Thema bereits diskutiert und erarbeitet.
Anbei mein Handout, welches ich ihnen zur Verfügung stellte.
Kritik, Anregungen und Kommentare sind mir wie stets: Willkommen und werden geschätzt.
Als Text:
Umgang mit Leid und Leiden aus Sicht eines Freidenkers
(Valentin Abgottspon, Freidenker-Vereinigung)
Für wen spreche ich?
Mein Weltbild/Sichtweise ist eine naturalistische. Ich sehe mich als Vertreter einer rationalen, wissenschaftsbasierten Weltsicht und Ethik, welche altruistisch ausgerichtet
ist. Ich spreche für Freidenker*innen, Skeptiker*innen, Rationale, Laizist*innen, Atheist*innen, Agnostiker*innen usw. Jedoch wird nicht jede Freidenkerin in jedem Punkt meiner Sichtweise zustimmen oder den aus diesen ethischen Darlegungen
folgenden Verhaltensvorschlägen folgen wollen oder können.
Cf. Bild bei der Kolumne: http://www.news.ch/Aber+wir+sind+doch+allesamt+Freidenker/675924/detail.htm
Empfindungsfähigkeit/Subjekt
Menschen und andere Tiere verfügen über keine Seele, jedoch über eine Psyche und Empfindungsfähigkeit bzw. Leidensfähigkeit (->engl. «sentience»). Unser Hirn existiert und kann Zustände hervorrufen, welche als Schmerz, Unwohlsein etc. empfunden werden. Wer dieses Leid empfindet ist eine philosophisch interessante Frage (wir sind mit «uns selbst» über die Zeit eigentlich nicht Identisch, weder psychisch noch physisch). -> «transtemporale Identität» Fragen der ->«schwachen/starken Emergenz» Leiden ist einerseits die Abwesenheit von Freude, andererseits die Anwesenheit von Unangenehmem, Schmerzen, Phantomschmerzen, aber auch psychische Leiden und Angst oder Furcht, welche nicht unmittelbar von einem Stimulus aus der Lebenswelt stammen müssen, z.B. Phobien, Zukunftsangst, Depression.
Wofür Freidenkerinnen und Freidenker nicht eintreten: Eine Verherrlichung des Leidens, welche allenfalls zu höheren Bewusstseins- bzw. Seinsstufen verhelfen oder Nachahmung Jesu bzw. Annäherung an Jesu Leiden darstellen soll. Ein krasses Beispiel liegt im Todesengel von Kalkutta vor, der Ordensfrau Agnes Gonxha Bojaxhiu, besser bekannt als «Mutter Teresa». Der Casus «Mutter Teresa» darf exemplarisch als Lehrstück gelten, wie wenig Faktenwissen bei machen religiösen Figuren und Praktiken in der breiten Bevölkerung und selbst bei Journalisten, Historikern usw. vorhanden ist.
Interessierteren Schülerinnen und Schülern seien folgende Hinweise ans Herz bzw. Hirn gelegt: ->Lektüre: Christopher Hitchens: The Missionary Position bzw. youtube-Doku «Hell’s Angel» oder das Mutter-Teresa-Kapitel in «God’s Not Great/Gott ist kein Hirte».
Nicht-Menschliche Tiere
Die aktuell bestimmende und einflussreichste Tierart, der Mensch, nimmt eine herausgehobene Stellung auf der Erde ein. Die anderen, die so genannten nicht- menschlichen Tiere, sind aber ethisch auch relevant und müssen berücksichtigt werden. Das Kriterium, ob wir andere Wesen ethisch zu berücksichtigen haben, kann nicht in Sprachfähigkeit, Aussehen, Anzahl Beinen oder Armen usw. bestehen, sondern muss in der Fähigkeit, Leiden und Schmerzen (auch: Freude usw.) zu empfinden, begründet liegen. Unangenehm oft wird das Leiden, welches der Mensch durch seinen Konsum tierlicher Produkte hervorruft, nicht reflektiert. ->Argument der menschlichen Grenzfälle/Argument from marginal cases
Sterbehilfe/Recht auf möglichst selbstbestimmtes Lebensende
Da wir unser Leben ohne religiöse Autoritätsargumente bestreiten, treten wir für weit gehende Rechte auf selbstbestimmtes Lebensende ein. Das mögliche Leiden von Hinterbliebenen muss betrachtet werden, darf aber (ultimativ) nicht den Ausschlag geben. Religiös oder anderweitig irrational begründete Einschränkungen der Individualrechte auf Sterbehilfe werden von uns bekämpft, eine religiöse oder anderweitig ideologisch irrationale Bevormundung durch Gesetze ist für uns nicht akzeptabel.
Abtreibung/Schwangerschaftsabbruch
Der Embryo kann bis zur 12. Schwangerschaftswoche noch keine Schmerzen, kein Leid empfinden und kann keine Pläne haben. Ein Schwangerschaftsabbruch ist also aus ethischer Sicht unproblematisch, aus (gesundheits-)politischer, feministischer Perspektive sowieso.
Leiden ist nicht die Strafe eines Gottes oder das Resultat von Sünden in einem anderen Leben. (Es existieren kein Gott oder Götter.) Leid ist schlicht unvermeidliches Resultat eines Universums, in welchem leidensfähige Lebewesen entstanden sind. Der oder die Leidende kann aus ihrem Leiden Sinnhaftiges ziehen, kann an Herausforderungen wachsen. Evolutionär hat das Schmerzempfinden natürlich Vorteile. Eine Welt wie in Huxleys «Brave New World/Schöne Neue Welt» scheint mir nicht allzu erstrebenswert.
Trost/Coping
Der Mensch muss seinem Leben selber einen Sinn geben. Dies gelingt beispielsweise durch Kunst, Wissenschaft, Helfen, Liebe, Familie, Freundschaften usw. Wer Nächste und Liebste verliert, wird teilweise auch Rituale oder Zeremonien wollen. Diese werden auch von Freidenkern durchgeführt.
https://valabg.ch/?p=870 und http://www.frei-denken.ch/de/dienstleistungen/rituale/ Freidenker können akzeptieren, dass andere in der Hoffnung auf ein Jenseits oder in religiösen Vorstellungen Trost und Halt finden. Sie glauben aber selber nicht daran und versuchen ohne diese (aus unserer Sicht) falschen Vorstellungen auszukommen.
Strafe?
Das Leiden ist nicht als Strafe ins Universum gekommen. Es existiert aber. Es ist da und kann nicht komplett vermieden werden. Das Universum schuldet uns keine Fairness. Was wir als Individuen und als Gesellschaft aber anstreben können: Für eine einigermassen gerechte Verteilung von Mühsal, Leid etc. zu sorgen. Und jene in die Pflicht (oder Strafe) zu nehmen, welche vermeidbares Leid nicht vermeiden bzw. unnötiges Leid kreieren (durch Konsum, Unachtsamkeit, kriminelle Handlungen, unethische Wahlen).
Kontakt: Valentin Abgottspon
Vize-Präsident Freidenker-Vereinigung der Schweiz, Präsident Sektion Wallis Web: www.frei-denken.ch, www.valabg.ch
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